2005 Bielefeld

2005 Bielefeld

Aufspielen statt abschieben

Ein Herr von der ZAB versucht, Lebenslaute zur Freigabe der Einfahrt zu bewegen

Seit den 90er Jahren herrschte viel Rassismus in den Ausländerbehörden, die Gesetzeslage gab das her. Lebenslaute hatte bereits 1998 in Bielefeld darauf aufmerksam gemacht. 2006 gab es eine Gelegenheit, sich hier wieder einzubringen: Verschiedene Organisationen, auch die Flüchtlingsorganisation „Karawane“, bereiteten unter dem Namen „Z-ABschaffen“ eine große Demonstration vor. Die „ZAB“, das war die „Zentrale Ausländerbehörde“, ein furchterregender Gebäudekomplex aus der Nazizeit außerhalb der Innenstadt, als Kaserne gebaut. Von dort aus fuhren frühmorgens Busse, in denen die Menschen abgeschoben wurden. Damals waren das vor allem Roma. Lebenslaute beschloss, sich an der Demonstration zu beteiligen und am frühen Morgen darauf die Einfahrt zur ZAB zu blockieren. Das gelang auch. Drohungen zu räumen seitens der Polizei wurden ignoriert und blieben ohne Folgen.

Leider blieb das Vorkonzert in der Aula eines Gymnasiums so gut wie ohne Zuhörer.

Aufruf:

Die Musik- und Aktionsgruppe LEBENSLAUTE

beteiligt sich in diesem Jahr an der Kampagne „Z-ABschaffen (www.z-abschaffen.com) in Bielefeld. Diese Kampagne thematisiert durch Veranstaltungen und Aktionen den in unserer Gesellschaft verbreiteten Rassismus und greift ihn an.

Die Zentrale Ausländerbehörde (ZAB), Am Stadtholz 24-26 in Bielefeld, steht im Fokus der Kritik. Hier werden geflüchtete Menschen kontrolliert, sortiert und umverteilt. Hier werden Abschiebungen geplant, koordiniert und durchgeführt.

In ZABs ankommende Flüchtlinge stehen von Anfang an unter Schuldverdacht vor ihren zukünftigen AbschieberInnen. Denn die Vorbereitung und Durchführung der Abschiebung ist die Hauptaufgabe der ZABs. Die Menschen werden oft nachts mit Polizei und Sicherheitsdiensten aus ihren Unterkünften gerissen und zum Flughafen gebracht. Kranke und Traumatisierte werden ebenso rücksichtslos und brutal deportiert, und das nicht nur in Einzelfällen, wie ein neuer Bericht der Diakonie Hessen-Nassau dokumentiert, der den eigenen MitarbeiterInnen empfiehlt, sich notfalls mit Zivilem Ungehorsam gegen solche Abschiebungen zu wehren.

Die Abschiebeabteilung der ZAB Bielefeld ist vornehmlich für die Region Ost-Westfalen zuständig. Wenn die Transporter die Tiefgarage der ZAB Bielefeld in Richtung Abschiebeknast oder Flughafen verlassen, ist es für Hilfe meist zu spät. Die Menschen werden mit polizeilicher Gewalt abgeholt und ihren Unterdrückern ausgeliefert.

Im 19. und 20. Jahrhundert flohen Hunderttausende Deutsche vor politischer Unterdrückung oder wanderten wegen wirtschaftlicher Not aus. Viele fanden Schutz und Lebensperspektiven.

Immer schon hat es Wanderungs- und Fluchtbewegungen gegeben.

Niemand flieht von Zuhause ohne Grund. Seit über einem Jahrzehnt aber wird diese Migration kriminalisiert wie selten zuvor. Dabei sind die häufigsten Fluchtursachen wie Krieg, Armut und Ökokatastrophen durch die koloniale und aktuelle Politik der reichen Länder erst geschaffen worden!

Die Politik will die hierher geflüchteten Menschen nicht nur abschieben. Sie will ihnen Angst machen, um ihre Ausreise auch dann zu erzwingen, wenn eine gewaltsame Abschiebung aus rechtlichen Gründen nicht möglich ist. Eine Folge dieser Praxis sind die ca. 230.000 (bundesweit) „geduldeten“ Menschen. Sie sind aufgrund der rigiden Asylrechtsprechung in Deutschland als Flüchtlinge nicht anerkannt worden, konnten aber dennoch wegen der in ihren Herkunftsländern vorhandenen bedrohlichen Situation bisher nicht abgeschoben werden. Trotz dieser rechtlichen „Abschiebehindernisse“ blieben sie „ausreisepflichtig“ und wurden / werden ständig zur sogenannten „freiwilligen“ Ausreise aufgefordert, gedrängt. Viele von ihnen leben 12 Jahre und länger hier.

Ihnen sind mehr Grundrechte entzogen als allen anderen: Sie werden in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt, dürfen praktisch nicht lohnarbeiten und erhalten weit weniger Leistungen als Sozialhilfe. Ihre Ausweispapiere sind diskriminierend und müssen i.d.R. alle drei Monate im Rathaus verlängert werden. Über all die Jahre hinweg müssen die Menschen bei jedem Amtsbesuch die Abschiebung befürchten, und das nicht nur für sich, sondern auch für ihre Kinder, die hier aufgewachsen oder geboren sind. Sie leben „auf Duldung“ und sind Opfer der sogenannten „Kettenduldungen“.

In Bielefeld leben zur Zeit über tausend Menschen im Status der „Duldung“, die meisten sind Roma (Ashkali) aus Kosovo. Wegen der seit 1988 unklaren und unsicheren politischen Lage in Kosovo, die durch den Kosovokrieg (1999) für die Gruppe der Roma noch verschärft wurde, sind Roma-Familien bis zu 17 Jahren „auf Duldung“ in Bielefeld, ohne Aufenthaltsrecht.. Sie leben in ständiger Angst vor Abschiebung. Durch die MitarbeiterInnen der Bielefelder Ausländerbehörde werden sie seit Jahren zur Ausreise aufgefordert mit der Drohung, dass irgendwann die gewaltsame Abschiebung stattfinden werde (ausgeführt von den MitarbeiterInnen der ZAB).

Nicht jeder Mensch, der die Asylpolitik mitgestaltet, ist „schuldig“ oder RassistIn. Aber alle müssen sich der Verantwortung stellen: Die Ausgrenzung – der staatliche Rassismus in Bürokratie und Rechtsprechung, der das gesellschaftliche Klima prägt – muss schleunigst beendet werden!

Für die Strukturen unserer Gesellschaft sind wir selbst verantwortlich. Es gibt erfolgreichen Widerstand von Flüchtlingsgruppen und in Einzelfällen. Im Bereich der Flüchtlingspolitik ist sehr viel in Bewegung – von neuen Maßnahmen zur Ausgrenzung bis zu Legalisierungen wie in Spanien. Bewegen wir es… in unserem Sinn!

Fluchtursachen bekämpfen! – Offene Grenzen und Solidarität! – Die ZAB muss abgeschafft werden!

Musik 2005:

Michael Tippett: Go down Moses, aus: A Child of Our Time
Joseph Haydn: Aus der Sinfonie Nr. 49, „La Passione“
Henry Purcell: Hexenchor aus der Oper „Dido und Aeneas“
Paul Jabara/ Paul Shaffer: It‘s raining men, Arr.: Saskia Schirenbeck
Ralph Vaugham William: Over Hill, over Dale
Fanny Hensel: Hörst du nicht die Bäume rauschen
Matyas Seiber: There Was an Old Man in a Tree