2008 Lübeck

2008 Lübeck

Töne und Klänge statt Grenzen und Zwänge

2008 gab es in Hamburg ein Antirassistisches Camp für den Kampf gegen Frontex, die Agentur zur Abwehr von Flüchtlingen. Lebenslaute wollte aber in Lübeck auf eine Polizeikaserne aufmerksam machen, in der Polizisten für die Arbeit bei Frontex ausgebildet wurden. Daher wurden die TeilnehmerInnen aus Hamburg zu unserer Aktion eingeladen. Wirklicher Ziviler Ungehorsam war bei dieser Aktion nicht möglich; aber das Tor der Polizeikaserne wurde blockiert, und es gab Musik in der Stadt. Mit Schlauchbooten, die wir zu Wasser ließen, stellten wir die Situation von Flüchtlingen dar, die versuchen, übers Wasser nach Europa zu kommen.

Musik 2008

Hermann Schröder: Herbstlied
Dietrich Buxtehude: Kantate „Alles was ihr tut“ (BuxWV4) für Chor, Streicher_innen & B.c. (neuer Text: Lebenslaute)
Joseph Haydn: Sinfonie 92 G-Dur (Auszug)
Clara Schumann: Vorwärts (Text: I. Geibel) für Chor a capella
Anne Tübinger: Was ist der Mensch (ohne einen Pass)? (T: B. Brecht) für Chor & Begleitung

Das Vorkonzert fand in der historischen Jakobikirche in der Lübecker Altstadt statt.

Aufruf (hier als PDF Seite 1, Seite 2)

am 19. August 2008 vor der Bundespolizeiakademie in Lübeck im Rahmen des Antirassistischen Camps Hamburg, 16.—24. 8. 2008

Freie Migration – keine Festung Europa!

Die verzweifelte soziale und wirtschaftliche Lage der Menschen besonders in Ländern Afrikas und Asiens ist weitgehend ein Ergebnis der aggressiven Wirtschaftspolitik Euopas und der USA.

Die EU setzt innerhalb und außerhalb ihrer Grenzen ein System von Grenzkontrollen, Lagern und Illegalisierung durch, damit Flüchtende und Migrant_innen gar nicht erst nach Europa gelangen.

Andererseits wird oftmals die Illegalität von Migrant_innen in Kauf genommen, weil diese besonders billige Arbeitskräfte sind; man kann sie straflos um ihren Lohn prellen.

FRONTEX ist eine seit 2005 bestehende EU-Agentur mit Sitz in Warschau. Ihr Ziel: Illegale Migration zu verhindern. Die Agentur führt einerseits selbst ‚Operationen‘ gegen Flüchtende an den EU-Grenzen durch und setzt dabei modernstes Gerät ein. Andererseits dient FRONTEX der Vernetzung bestehender nationaler Grenzpolizeien und Behörden und wirkt bis in die Politik von Ländern wie China, Libyen oder Pakistan hinein. Abkommen mit diesen Ländern sollen Flüchtlingsbewegungen bereits in der Entstehung verhindern.

An der Bundespolizeiakademie in Lübeck werden Polizist_innen aus der gesamten EU für die Ausführung dieser Politik geschult.

Daher werden wir dort zusammen mit lokalen Initiativen und Aktivist_innen aus dem Hamburger AntiRassismus-Camp die Politik von FRONTEX anprangern, Öffentlichkeit herstellen und Aktionen Zivilen Ungehorsams durchführen.

Widerstandsstrategien

Weltweit organisieren sich Migrant_innen und Unterstützer_innen für ihre Rechte und für freie Migration, z.B.:

– Im April 2008 führten Arbeiter_innen ohne Aufenthaltsberechtigung (Sans Papiers) in Paris einen mehrtägigen Streik durch.

– In Schweden wurden nach einer Kampagne für die Legalisierung der 30.000 abgelehnten Flüchtlinge alle Abschiebegefangenen freigelassen.

– Am 5. Juni findet in Warschau am FRONTEX-Hauptquartier eine Protest-Belagerung statt.

– Es gibt Protestcamps u.a. in der Ukraine und in Italien.

Wir fordern:

– Globale Bewegungsfreiheit

– Auflösung aller Lager

– Beendigung der Abschiebungen

– Abschaffung von FRONTEX

Pressereaktion

… und ein Leserinnenbrief:

„Hör zu, wer hören will!“

Zu: Laute Demonstranten fordern:“ Weg mit dem Grenzschutz“

LN 20.9.2008

Gewiss fuhr ein Schrecken durch manche Besucher der Innenstadt, als am sonnigen Dienstagnachmittag plötzlich ein großer Demonstrationszug auf den Markt zog und deutlich vernehmbar Bewegungsfreiheit und offene Grenzen für alle Menschen dieser Welt forderte. Als dann obendrein ein Chor von bis dato bieder anmutenden Musikerinnen und Musikern (den „Lebenslauten“) aus der anderen Ecke einstimmte, mag es manchen unbehaglich geworden sein, die dieses laute Schauspiel unvorbereitet traf. Was hat das Thema mit dieser Stadt zu tun? Nicht genug mit der Unbill der jährlichen Nazi- und Antifa-Spektakel? Nun auch noch das europäische Grenzschutzregime „Frontex“ als Ärgernis? Noch ein Störfaktor für den Frieden dieser Stadt?

Leider ja! Die meisten von uns wissen wenig darüber, was hinter den Mauern und Zäunen in der Polizeiakademie in der Ratzeburger Landstraße , bezahlt mit unseren Steuergeldern, geschieht. Wir könnten es wissen, wenn wir die Stimmen von Pro Asyl und anderen Menschenrechtsorganisationen stärker beachteten, wenn wir den Ausführungen jener Kapitäne zuhörten, die erschüttert miterleben, wie von ihnen die Missachtung internationalen Seerechts verlangt wird – im Namen europäischer Grenzschutzpolitik.

Es sind nicht nur laute Töne, mit denen ein solcher Grenzschutz skandalisiert wird. Die „Lebenslaute“ hatten am Vortag jener Demonstration eingeladen zu einem Konzert in der Aegidienkrche. Dort kamen die Themen Menschenrechte, Grenzschutz, Gestaltung eines gerechten Zusammenlebens mit vielen feinen Zwischentönen deutlich zum Klingen – alte Musik mit aktuellen Texten, auch eine Kantate des Lübecker Komponisten Dietrich Buxtehude.

Doch diese Einladung, gedacht als spezielle Vorbereitung der Stadt auf den Aktionstag, hatte es aus unerfindlichen Gründen leider nicht in die Lübecker Nachrichten geschafft. Mögen die davon erzählen, die zugehört haben! „Frontex“ wird uns weiter umtreiben.

Pastorin Elisabeth Hartmann-Runge

Ökumenische Regionalstelle des Kirchenkreises Lübeck